Karden – stachelige Helfer bei der Textilbearbeitung

Was sind eigentlich Karden*?

Der Begriff "Karde" bezeichnet ursprünglich eine seit alters her bekannte und benutzte Kulturpflanze. Der Begriff wurde dank der Verwendung der Pflanze in der Stoffverarbeitung später ebenfalls für die sogenannten "Handkarden" verwendet, auch wenn diese einem anderen Zweck dienen.

Die Pflanzen

Die Karde, eine bis zu zwei Meter hohe, distelähnliche Pflanze (lat. Dipsacus), gehört zu den Kardengewächsen. Bei uns in Deutschland gehören die wildwachsende Skabiose, die Witwenblume oder Knautie und der Teufelsabbiss dazu. Mit den eigentlichen Disteln sind sie nicht verwandt. Im französischen nennt man sie daher auch "chardon faux", also "falsche Disteln".

Wilde Karde

Es gibt zwei Arten dieser Gattung, die sich sehr ähnlich sind: Die noch immer häufig vorkommende "wilde Karde" (Bild 1) und die "Weberkarde", die in freier Natur in Deutschland nicht mehr zu finden ist, aber noch vereinzelt kultiviert wird.

Die Verwendung bei der Stoffverarbeitung

Verwendet werden die Kardenköpfe der Weberkarden nicht zum Kardieren von ungesponnener Wolle, wie man annehmen könnte.

Wilde Karde und Weberkarde im Vergleich

Diese Zugbelastung würden die Spreublätter nicht aushalten und die Rohwolle wäre mit den abgebrochenen Spitzen gespickt. Stattdessen werden sie zum nachträglichen Aufrauen fertig gewebter Wolltuche oder gewirkter Strümpfe und Mützen eingesetzt. Vor dem Rauen werden die Stoffe in Wasser gelegt oder kommen noch nass aus der Walkmühle. So wird erreicht, dass die Wolle weicher ist und beim Rauen nicht so leicht zerrissen wird.

Kardenrauer

Bei der Behandlung mit den Karden werden aus den Wollstoffen Fäserchen herausgezogen und bilden an der Oberfläche einen Flaum. Das kann nur auf einer Seite der Stoffe durchgeführt werden, oder beidseitig. Der Stoff wird dadurch voluminöser, weicher und wärmer.

Nachträglich kann der Faserflor noch in eine Richtung ("in Strich") gebürstet werden, oder die Fäserchen werden ungebürstet und wirr belassen (Velours).

Ganz schön Rau

Es gibt unterschiedlich Möglichkeiten, wie die Kardenköpfe eingesetzt werden: fest und unbeweglich zwischen Hölzer montiert oder längs durchbohrt und frei drehbar.

Man unterscheidet bei den Handraugeräten Kardenrauer für feinere Tuche mit kleinen Kardenköpfen und solche für die Strumpfwirker und Mützen- oder Hutmacher mit den größeren Kardenköpfen.

Das Rauen erfolgt in mehreren Arbeitsgängen. Dabei werden zuerst die älteren, bereits benutzten sog. "toten" Kardenköpfe werwendet, dann welche, die weniger in Gebrauch waren. Erst beim anschließenden Rauen nimmt man neue, sog. "lebendige" Karden.

Verwendung in der Industrie

Ab dem 19. Jahrhundert wurde die Tuchproduktion mehr und mehr mechanisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Handgeräte von Raumaschinen verdrängt. Bei den ersten waren die Walzen bestückt mit Kardenköpfen, die mit ihren Stielen nebeneinander in Rahmen fixiert waren. Nach und nach kamen modernere Maschinen mit rotierenden Kardenköpfen zum Einsatz. Dazu wurden vor dem Durchbohren der Längsachse nicht nur die Stiele komplett entfernt, sondern die beiden Enden wurden abgeschnitten, um eine zylindrische Form zu erzielen. So wurden sie der Länge nach hintereinander auf Spieße aufgereiht und auf der Trommel der Maschine befestigt.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts begann man die natürlichen Kardenköpfe durch Plastikkarden und Metallkratzen zu ersetzen.

Nassraumaschine

Nassraumaschine, Foto von Detlef Stender, LVR-Industriemuseum Euskirchen

Das 20. Jahrhundert

Die Nachfrage nach Karden sank, und damit begann der Niedergang der Kardenproduktion. Im österreichischen Mühlviertel wurde 1955 die letzte Kardengenossenschaft geschlossen. In Südfrankreich gab es noch 1980 Felder mit Kardenanbau (Bouches-du-Rhone, Vaucluse). Die letzte Fabrik in Tarascon stellte erst 1985 ihre Produktion ein.

*Der ausführliche Artikel zum Thema Karden in unserem Museum erschien im Heft "Lavendelschaf" 36/2011 unter dem Titel: "Ein stacheliger Helfer bei der Textilbearbeitung".

Quellen / Weiterführende Literatur:
Werner Rothmaler: Exkursionsflora, Kritischer Band 4, Verlag Volk und Wissen Berlin, 1976
Lisa Adebahr-Dörel: Textile Werkstoff- und Warenkunde für Berufs-,Berufsfach- und Fachschulen,Verlag Handwerk und Technik, Hamburg, 20. Auflage
Lehrer Küppers, Embken: Aus der Zeit der Kardenzucht. Heimatblätter, Beilage zur Dürener Zeitung, 3.Jahrgang, Nr.16, 1926
Annelies Goldmann: Das Ausrüsten von Wollgeweben. In: Neues aus dem Mittelalter, Experimentelle Archäologie im Museumsdorf Düppel, Verlag Isensee, Oldenburg, 1996
Le chardon cardère en Basse Provence occidentale. Journal d'exposition, Ville de Saint-Remy-de-Provence, Musée des Alpilles, 1992